Die aufgezwungene Globalisierung

Die ganze Welt wird von der Globalisierung erschlossen. Doch in Afrika funktioniert der Kulturtransfer nur in eine Richtung: Die mit der Globalisierung verbundene Informations-Technologie überflutet den Kontinent mit westlichen Idealen und Werten.

Die ganze Welt wird von der Globalisierung erschlossen. Doch in Afrika funktioniert der Kulturtransfer nur in eine Richtung: Die mit der Globalisierung verbundene Informations- und Kommunikationstechnologie überflutet den Kontinent mit westlichen Idealen und Werten. Eine Analyse von Ayodele Aderinwale

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​​Die herrschende Meinung in Afrika sieht die Globalisierung als ausschließlich externes Phänomen. Um diese äußere Natur und das Wesen des Systems, das ihr vorausging, zu verstehen, bedarf es einer klar strukturierten und anschaulichen Analyse der Phase, in der sich die Globalisierung gegenwärtig befindet.

Eine solche müsste sich gründen auf eine modulartige Beschreibung der einzelnen Stufen des Prozesses, die man dann als "Eltern und Großeltern der Globalisierung" beschreiben könnte, nämlich Sklaverei, Kolonialismus und Neo-Kolonialismus.

Beschränken wir uns aber darauf, die momentane Stufe der Globalisierung zu charakterisieren, das heißt: mit der engen Verflechtung der Volkswirtschaften durch Handel und Kapitalströme, Austausch von Technologie und Informationen sowie mit den weit reichenden Migrationsbewegungen.

Nationale Grenzen und regionale Zugehörigkeiten spielen faktisch keine Rolle mehr. Hieraus erwachsen neue Herausforderungen für die lokalen Kulturen und Wertesysteme in Afrika genauso wie die anderer, nicht-westlicher Gesellschaften.

Minimaler Einfluss und maximale Beeinflussung

So kann es nicht verwundern, dass Afrika – als extrem unbeständiger Kontinent – sehr sensibel auf äußere Faktoren und Interessengruppen reagiert. Hilflos ist dieser einer maximalen Beeinflussung von außen ausgesetzt, ohne selbst irgendeinen Einfluss ausüben zu können.

Hinzukommt, dass die zunehmend gleichförmigen Kulturen der industrialisierten Welt immer mehr Einfluss ausüben, als führten sie geradezu einen "Kreuzzug" im Namen der Demokratie. Dabei scheinen sie alle Barrieren niederzureißen und der restlichen Welt ihre eigenen Werte, Regeln und Normen aufzuzwingen.

Der verschwindend geringen Anzahl von Menschen, die die afrikanische Machtelite bilden, fällt es nicht schwer, mit den verschiedensten Schichten nicht-afrikanischer Gesellschaften in Kontakt zu treten. Sie pendeln zwischen den großen Hauptstädten der Welt, ohne jedoch jemals ihren Dogmatismus und ihre Voreingenommenheit ablegen zu können.

Fortwährend und meist ohne jedes Unterscheidungsvermögen nehmen sie die westliche Perspektive der Welt auf. Dazu nutzen sie die global umspannenden Kabelkanäle genauso wie weit reichende persönliche Kontakte. Folgerichtig wird Afrika beherrscht von einer Führungsschicht, deren Anschauungen sich bestenfalls durch eine krude Mischung angenommener Ideen und verworrener Denkprozesse auszeichnen.

Informations- und Kommunikationstechnologie in Afrika

Wie andere Regionen der Welt wird auch Afrika nachhaltig von den neuen Möglichkeiten elektronischer Kommunikation beeinflusst, die die Menschen in ungeahnter Weise einander näher bringen.

Computer, Glasfaserverbindungen, Satelliten, Mobiltelefone und Netzwerke aus Faxgeräten, E-mail und Internet, von denen die meisten der Satellitentechnik bedürfen, lassen den Begriff des "Weltdorfes" zur Realität werden.

Internetzugang statt Brot

Gelder wie Informationen können praktisch in Echtzeit und per Mausklick übermittelt werden. Für diejenigen Afrikaner mit dem nötigen Kleingeld stellt dies natürlich ein willkommener Fortschritt dar.

Er erweitert ihren Horizont und eröffnet ihnen neue Perspektiven – mit allen Vor- und Nachteilen. Immer mehr ältere Schüler – selbst in halb ländlichen Regionen – opfern ihr Geld, das sie für das Mittagessen zur Verfügung haben, um ihre Zeit in Internetcafés zu verbringen.

Doch interessanterweise ist es gerade dieser Bereich, also der der Informations- und Kommunikationstechnologie, der die große Verwundbarkeit Afrikas am sichtbarsten werden lässt.

Das Kabelfernsehen stellt im heutigen Afrika sowohl eine der wichtigsten Informationsquellen wie Unterhaltungsindustrien dar, welche in gleicher Weise, ob bewusst oder unbewusst, die Weltanschauungen der Zuschauer prägen und beeinflussen.

Kabelfernsehen beeinflusst das Urteilsvermögen

Die meisten Kinder aus der Schicht der kleinen afrikanischen Machtelite formen ihre Ansichten aus den unterschiedlichsten Quellen. Leider werden sie dabei allzu oft zu schlechten Imitationen der von ihnen nachgeahmten Vorbilder. Erwachsene ihrerseits vertrauen sich blind dem Kabelfernsehen an, wodurch ihre Wahrnehmung und Urteilskraft massiv beeinträchtigt wird.

Nur in diesem Kontext ist zu verstehen, warum die Fernsehshow "Big Brother Africa" (mit Teilnehmern aus 12 afrikanischen Ländern) ein derartiges Aufsehen erregen konnte. Während es in der westlichen Welt inzwischen als fast alltäglich gilt, auch die persönlichsten Seiten des eigenen Lebens vor der Öffentlichkeit auszubreiten, werden in Afrika alte Grenzen der Scham und der Abschottung der Privatsphäre durchaus noch respektiert.

Mit dem Aufkommen solcher "Unreality shows" aber gewinnen nicht nur Themen wie Sexualität und Ähnliches weltweit an Relevanz. Es ist heute keineswegs ungewöhnlich, wenn man in einer beliebigen afrikanischen Metropole auf Fanclubs von europäischen Fußballteams trifft, während die lokalen Mannschaften wenig bis gar keine Unterstützung und Anerkennung finden.

Die Heldentaten der Fußballstars werden mittels der fantastisch anmutenden Satellitentechnik in kürzester Zeit rund um die Welt geschickt, wo sie die Imagination der jungen Menschen beflügelt und sie dazu bringt, sich schnellstmöglich jedes ihrer neuen Trikots zu kaufen.

Aussterbende lokale Gewohnheiten und Sprachen

Kulinarische Vorlieben haben sich gewandelt. Viele Kinder sind kaum noch fähig, sich in ihrer heimischen Sprache zu verständigen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wenn schon in den nächsten Jahrzehnten vielleicht all unsere afrikanischen Sprachen, von denen es zur Zeit noch rund 1000 gibt, aussterben werden – mit all den dazugehörigen Folgen für die Überlebensfähigkeit unserer Kulturen.

So wirft der kulturelle Aspekt der Globalisierung für Afrika besondere Probleme auf. Traditionelle afrikanische Kulturen betonen Werte wie Gemeinschafts- und Familiensinn, Respekt vor dem Leben und Gastfreundschaft. Diese Werte aber geraten zusehends in Konflikt mit westlichen Normen, wie sie uns durch die kulturelle Globalisierung in Form von Unterhaltung, Nahrungsmitteln, Medizin und Werbung vorgesetzt werden.

Westliche Formen politischer Kultur gewinnen an Boden gegenüber herkömmlichen Quellen wirtschaftlicher und politischer Machtausübung. Und die alles dominierende Popkultur des Westens dringt unaufhaltsam in die traditionellen afrikanischen Kulturen ein.

Demokratie und Menschenrechte

Die vielleicht bedeutsamste, aus der Globalisierung erwachsene Entwicklung ist jedoch der Anstoß zur Demokratisierung. Dieser beinhaltet eine stärkere Betonung einer verantwortungsbewussten Regierungsführung und der Beachtung der Menschenrechte.

Dies ist zweifellos ein großer Fortschritt und eine Befreiung vom unerträglichen Missbrauch der Macht, unter dem Afrika seit langem leidet.

In dem Maße, wie politische Freiheiten gestärkt werden und sich eine moderne Zivilgesellschaft auszubilden beginnt, wächst die Hoffnung, dass es der Gesellschaft gelingt, in einer Weise mit den Regierungen zu interagieren, die eine positive Entwicklung fördert und erleichtert. Gleichzeitig aber ließen die Terrorattacken des 11. September die Ansprüche an Afrika in Sicherheitsfragen erheblich anwachsen.

Ich denke, dass die größte Herausforderung, der sich Afrika heute gegenübersieht, darin liegt, eine neue Identität zu entwickeln. Sicher ist der Einfluss auf die afrikanischen Werte massiv, doch ist der Einfluss auf ihre Identität als überwältigend zu bezeichnen.

Dieser zeichnet sich durch eine grobe Entstellung vorhandener Stereotype aus. Hierin liegt ein fundamentales Problem, da es bestimmt, wie junge Menschen sich selbst wahrnehmen – und für junge Afrikaner gilt dies in besonderer Weise.

Afrikas Identitätskrise

Die Folge ist die sorglose Übernahme fremder Wertesysteme, die dafür sorgen, die persönliche Entwicklung der Menschen – wie die der Gemeinschaften, denen sie entstammen – verkümmern zu lassen. Bei einigen, insbesondere bei Jugendlichen, zeigt sich die Übernahme dieser neuen Ideale und Werte zu allererst im Konsum neuer Produkte.

Ein Wechsel der Identität kann durchaus eine Befreiung sein vom Erbe der Unterdrückung, zu dem auch traditionelle Glaubensvorstellungen und Bekenntnisse gehören.

Doch interessanterweise bieten gerade das Christentum und der Islam eine Vielzahl an Chancen sowie ein System von Werten, das es den Afrikanern zu erlauben scheint, sich den Herausforderungen des Modernisierungsprozesses gewachsen zu zeigen und die mit ihm verbundenen Probleme zu bewältigen.

Doch natürlich ist dies nur die eine Seite der Medaille. Denn die Globalisierung lässt die Kluft zwischen Arm und Reich weiter wachsen – sei es auf globaler oder lokaler Ebene. Und mit diesen Paradoxien wird Afrika noch eine ganze Weile zu kämpfen haben.

Ayodele Aderinwale © Qantara.de 2004

Übersetzung aus dem Englischen: Daniel Kiecol