"Fremd sein kann man auch in der eigenen Heimat"

Die deutsch-marokkanische Opersängerin Malika Reyad wuchs in Zürich, Casablanca und Karlsruhe auf. Im Interview mit Mohamed Massad spricht sie über ihren Werdegang und über klassische Musik als Brücke zwischen den Kulturen.

Porträtbild Malika Reyad; Foto: &copy Heike Bleckmann
Reyad: "Künstlerisch interessiert mich die Verbindung zu den Menschen. Was verbindet uns, was trennt uns? Fremd fühle ich mich, wenn ich mich nicht verbinden kann"

​​Frau Reyad, Ihre Karriere ist eng mit dem Erfolg der Karlsruher Schlosskonzerte verbunden. Wie sind Sie auf die Idee zu diesem überaus erfolgreichen Projekt gekommen?

Malika Reyad: Da möchte ich gerne etwas ausholen: Nach dem Studium arbeitete ich als Solistin an mehreren Opernhäusern als Gast. Sehr gerne war ich am Staatstheater am Gärtnerplatz in München. Ich habe mich immer sehr wohl gefühlt im Kreis von internationalen Künstlern.

Der zielstrebige Karrieretyp bin ich nie gewesen. Die Engagements, die ich hatte, kamen zum großen Teil von selbst auf mich zu. Ich hatte zuwenig Selbstvertrauen, um an Bewerbungen dran zu bleiben. Die Fahrten, teilweise mit Übernachtung, auf eigene Kosten, zu Vorsingen an Theatern; diese Spielchen ... Immer wieder mit Ablehnung und Enttäuschungen umgehen zu müssen, das war sehr schwer.

Die Spielregeln gefielen mir also nicht, andererseits fehlte mir die Oper, ich wollte meine Spielfreude ausleben. Im Jahr 2002 waren meine Pianistin und Freundin Heike Bleckmann und ich für einen Liederabend bei Ulm angefragt worden, mit Musik von Arnold Schönberg, Hanns Eissler und Kurt Weill.

Da das Programm sehr anspruchsvoll war, wollten wir eine Generalprobe machen und so fragten wir das Badische Landesmuseum im Schloss Karlsruhe, ob wir im Gartensaal eine öffentliche Probe bei freiem Eintritt veranstalten dürfen.

Dieses Konzert stieß auf große Resonanz in der Presse, war voll bis auf den letzten Platz – es war ein großer Erfolg, trotz des unpopulären Programms. Die Idee einer Fortsetzung war noch am selben Abend geboren, das Konzept ergab sich beinahe von selbst. Seit 2004 gibt es die Karlsruher Schlosskonzerte, deren Initiatorin und Vorstand ich bin.

Was unterscheidet die Karlsruher Schlosskonzerte von anderen klassischen Konzerten?

Reyad: Die Konzerte finden bei freiem Eintritt statt, was mir sehr wichtig ist. Sponsoren, Stiftungen, Partner, der Förderverein, das Land Baden-Württemberg und die Stadt Karlsruhe finanzieren diese ungewöhnliche Musikreihe, die sich unterschiedlichsten Themen widmet. Durch den freien Eintritt ist das Publikum interessant "gemischt".

Manche kommen, weil sie das Thema interessiert, manche, weil sie noch nie in einem klassischen Konzert waren. Manchmal bedanken sich Zuhörer bei uns, weil sie es sich sonst nicht leisten könnten, solche Veranstaltungen zu besuchen.

Im Jahre 2006 konnten wir sogar eine Opernproduktion auf der Terrasse des Karlsruher Schlosses veranstalten – ein Opernpasticcio zum 250. Geburtstag von Mozart: "Ich, Wolfgang Amadé", mit dem Libretto von Thorsten Morawietz. Es kamen über 1000 Zuschauer zu unserer Open-Air-Veranstaltung. Es war die Erfüllung eines Traumes mit viel Einsatz. Durch die Schlosskonzerte habe ich gelernt, mich für meine Überzeugungen voll einzusetzen und mich nicht gleich entmutigen zu lassen.

Wie sieht das Publikum aus, das Sie mit Ihrer Musik erreichen möchten?

Reyad: Offene Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten!

Welchen Einfluss hat Ihr Migrationhintergrund auf Ihre persönliche und künstlerische Identität?

Reyad: Diese Frage ist für mich schwer zu beantworten. Ich weiß ja nicht, wie ich ohne Migrationshintergrund fühlen würde. Viele Künstler, auch welche, die nicht emigriert sind, suchen die Brücken zwischen den Kulturen. Fremd fühlt man sich zunächst in sich, das kann auch im eigenen Land, sogar in der eigenen Familie sein.

Im Grunde hatte ich in Deutschland und in Marokko Angst mich falsch zu verhalten. In Marokko gibt es andere Erwartungshaltungen, die leider nicht immer offen ausgesprochen werden, so dass manchmal schmerzhafte Missverständnisse nicht ausbleiben.

Wie würden Sie ihr künstlerisches Verständnis beschreiben?

Reyad: Künstlerisch interessiert mich die Verbindung zu den Menschen. Was verbindet uns, was trennt uns? Fremd fühle ich mich, wenn ich mich nicht verbinden kann. Gerade die Epoche der Romantik hat dieses Gefühl des Fremdseins auf Erden oft aufgegriffen. Und in vielen Liederabenden habe ich mich mit meiner Pianistin Heike Bleckmann mit diesem Thema beschäftigt. So zum Beispiel bei den Karlsruher Schlosskonzerten, wo wir zwei Abende zu diesem Thema veranstalteten.

Für Sie ist Musik eine Brücke zwischen den Kulturen. Welche Projekte haben mit Ihrem Herkunftsland Marokko initiiert?

Eindrücke vom Karlsruher Schlosskonzert 2006; Foto: &copy Wolfgang Heller
Erfolgreiches Kulturspektakel: Im Rahmen des Karlsruher Schlosskonzerts 2006 wurde ein Opernpasticcio zum 250. Geburtstag von Mozart veranstaltet, zu dem über 1000 Zuschauer kamen.

​​Reyad: Der Kontakt mit beiden Kulturen tut mir gut, weil ich mich in beiden wieder erkenne und ich mir ein stärkeres gegenseitiges Lernen wünsche. Im Jahre 2004 lernte ich in Marokko Frau Touria Serraj vom marokkanischen Rundfunk kennen, die ein Interview mit mir sendete. Darauf hin lud mich Herr Omar Salim im Sommer 2005 in seine Sendung "Arts et Lettres" bei 2M, dem zweiten marokkanischen Fernsehen, ein. Das war eine sehr interessante Talkshow mit marokkanischen Künstlern, die im Ausland leben und arbeiten.

Dank dem Einsatz von Dr. Hachim Haddouti, ein marokkanischer Ingenieur, der in München lebt und unermüdlich Projekte für Marokko ins Leben ruft, konnte ich 2007 mit meiner Operntruppe zwei Konzerte in Marokko geben, in der Universität Al Akhawayn und im Theater Meknes. Das war sehr spannend, weil meine Kollegen noch nie in Marokko gewesen waren und nicht wussten, was sie erwartet. Sie waren begeistert!

Im Herbst 2008 hatte mich die Deutsche Botschaft in Rabat für einen Liederabend mit der marokkanischen Pianistin Ghizlane Hamadi eingeladen. Das Konzert hat uns beiden viel Freude gemacht.

Ich stellte fest, dass es natürlich viele Menschen in Marokko gibt, die europäische klassische Musik kennen, aber auch viele, die keinen Zugang dazu haben. Als ich in Rabat in einem Taxi saß, kam ich mit dem Fahrer ins Gespräch, dem ich erzählte, dass ich hier ein Konzert habe. Er bat mich zu singen. Also sang ich ein spanisches Wiegenlied. Er war völlig verdutzt, schaute mich mit großen Augen an und versuchte mich nachzumachen und wir lachten...

Für 2010 plane ich ein Opern-Pasticcio, ein marokkanisch-deutsches Projekt. "Pasticcio" bedeutet wörtlich "Pastete". Als Bezeichnung für ein Bühnenstück wurde der Begriff zuerst im Barock verwendet. Damals wurde es üblich, Stücke aus bereits bestehenden Opern zu einer neuen Handlung zusammenzufügen – wie bei einer Pastete, bei der aus mehreren Zutaten eine neue köstliche Speise entsteht.

Die Zutaten für diese "Pastete" sind die Legende "Isli und Tislit", eine Romeo-und-Julia-Geschichte der Berber aus dem Hohen Atlas, sowie bekannte Arien und Ensembles aus den Opern Mozarts und Musik der Berber. Die Musikstücke sind passend zur Handlung in das zum Teil zweisprachige Libretto eingewebt. Auf dieses spannende Projekt freue ich mich besonders.

Interview: Mohamed Massad

© Qantara.de 2010

Malika Reyad, Mezzosopran, studierte Gesang an der Staatlichen Hochschule für Musik in Karlsruhe bei Marga Schiml und Prof. Klaus-Dieter Kern. Neben einer regen Tätigkeit im Bereich Oratorium, bei der sie sich ein großes Repertoire aneignen konnte, gibt sie regelmäßig Liederabende (Studiobühne Staatstheater am Gärtnerplatz München, Karlsruher Rathauskonzerte, Karlsruher Museumsnacht, Alte Aula Heidelberg, u. a.). Malika Reyad gastierte auf mehreren Opernbühnen.

Qantara.de

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