Brückenbauer oder verkappter Fundamentalist?

Mustafa Ceric ist ein engagierter Förderer des interreligiösen Dialoges im Geiste der gegenseitigen Anerkennung. Dafür wurde er jetzt von der Eugen-Biser-Stiftung ausgezeichnet. In seiner Heimat aber ist der Großmufti als konservativer Religionsführer umstritten. Auch in der deutschen Presse wurde Ceric als Preisträger in Frage gestellt. Zoran Arbutina informiert.

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Mustafa Ceric, Großmufti von Bosnien und Herzegowina seit 1993, beim Weltwirtschaftsforum 2008 in Davos (Foto: Robert Scoble)

​​ Nur wenn es gelingt, den Dialog zwischen den großen Weltreligionen Christentum und Islam aufrechtzuerhalten und zu intensivieren, besteht die Hoffnung, dass Missverständnisse und Fehldeutungen auf beiden Seiten künftig vermieden werden können – davon ist die christlich-orientierte Eugen-Biser-Stiftung überzeugt. Der am 13. Oktober letzten Jahres von 138 islamischen Würdenträgern veröffentlichte Brief "A Common Word between us and you" ist auf diesem Weg ein Meilenstein gewesen, erklärt Heiner Köster, stellvertretender Vorsitzender des Kuratoriums:

"Die Eugen-Biser-Stiftung hat in dem offenen Brief von muslimischen Gelehrten eine wichtige Initiative für den interreligiösen Dialog gesehen. Herr Ceric ist einer der Unterzeichner des offenen Briefes. Und wir waren uns einig, dass es eine sehr gute Wahl wäre, wenn er als Preisträger einbezogen würde."

"Er kennt beide Welten"

In dieser Einschätzung steht die Münchener Stiftung keinesfalls alleine da. Wenn es in Europa um die Frage der Beziehung zum Islam geht und darum, wie man die Integration der Muslime in die europäische Gesellschaft voranbringen kann, fällt seit Jahren unweigerlich der Name des bosnischen Großmuftis Mustafa Ceric: Er sei ein wichtiger Brückenbauer. Diese Bedeutung Cerics für Europa betont auch der deutsche Publizist Jörg Lau:

"Ich sehe ihn als einen Brückenbauer. Er hat das intellektuelle Format dazu; er hat in Kairo an der Azhar-Universität studiert, er hat aber auch in Chicago als Theologe und Philosoph gewirkt. Er kennt beide Welten", so der Redakteur der renommierten Wochenzeitung Die Zeit.

Papst Benedikt XVI. empfängt Großmufti Mustafa Ceric in Rom; Foto: AP
Ceric hat in Kairo an der Azhar-Universität studiert, er hat aber auch in Chicago als Theologe und Philosoph gewirkt. Papst Benedikt XVI. empfing ihn beim Katholisch-Muslimischen Forum in Rom.

​​Wie kein anderer muslimischer Gelehrter oder islamischer Würdenträger wird Mustafa Ceric in Europa, insbesondere in Deutschland, geehrt und gelobt. Mehrfach wurde er bereits ausgezeichnet für sein Bemühen um die Entwicklung des Dialogs zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen. Und manchmal scheint es gar, als ob Ceric für die Verkörperung eines neuen ost-westlichen Diwans gehalten wird. Nicht zufällig war er einer der führenden muslimischen Würdenträger, die Papst Benedikt XVI. Anfang November im Vatikan empfangen hat.

Der bosnische Islam: Weltoffen und tolerant

Bosniens Muslime gelten als tolerant und weltoffen. Seit Jahrhunderten praktizieren sie eine friedliche Form des Zusammenlebens in einer multireligiösen und multikulturellen Gesellschaft.

"Als Oberhaupt dieser Gemeinschaft hat Ceric sehr stark im Auge, dass der Islam sich weiter nach Europa öffnen muss, dass er seine Wurzeln in der arabischen Welt natürlich nicht kappen darf, aber zugleich etwas genuin Europäisches werden muss. Insofern würde ich ihn als einen Reformer bezeichnen", sagt der Islamkenner Jörg Lau.

Dieses Bild pflegt auch Ceric selbst: "Der Dialog, besser gesagt: eine Kultur des Dialogs, ist heute für Europa das Wichtigste. Europa braucht heute ein Programm, eine langfristige Strategie der Förderung und der Pflege der Kultur des Dialogs unter den verschiedenen Religionen, Kulturen und Völkern", erklärt Ceric.

Reformer oder Islamist?

Vielerorts in Europa wird dem Islam aber immer noch mit Skepsis begegnet oder diese Religion gar als Bedrohung empfunden. Noch immer wird die Religion mit dem politischen Islam über einen Kamm geschert oder stereotyp dargestellt. Missverständnisse und Konflikte sind dann vorprogrammiert. So wird auch Ceric vorgeworfen, in der von der Europäischen Volkspartei (EVP) herausgegebenen Zeitschrift "European View" (12/2007) zur Einführung der Scharia in Europa aufgerufen und die demokratisch-freiheitliche Grundordnung in Frage gestellt zu haben.

Schon vor Monaten sah er sich gezwungen, einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel zu verfassen, in dem er sich unter anderem klar zu seiner demokratischen Grundüberzeugung bekennt.

Auf Kritik stößt Ceric aber nicht nur in Europa – auch in seinem Heimatland Bosnien-Herzegowina ist er umstritten.

Spricht Ceric mit gespaltener Zunge?

In den liberalen und bürgerlich orientierten Kreisen wirft man ihm vor, mit gespaltener Zunge zu sprechen: Im Ausland befürworte er den Dialog, zu Hause trete er aber konservativ und unnachgiebig in seinen Forderungen auf, die – in den Augen seiner Kritiker – die Untergrabung des säkularen Charakter des Staates und die allmähliche Aufhebung der Trennung von Staat und Religion beinhalten. Einwände aus einem erklärlichen Grund, wie der Publizist Jörg Lau meint:

"Es wäre schöner, wenn er es nicht nötig hätte, sich zu engagieren, aber in dieser hoch politisierten - auch in den letzten Jahrzehnten sehr hasserfüllten - Situation in Bosnien musste er sich auch politisieren. Und das, was man ihm auch vorwirft, dass er etwa auch gegen die fundamentalistische Einflüsse in Bosnien, die aus der arabischen Welt kommen, nicht entschieden genug vorgegangen ist, das sind sicherlich bedenkenswerte Dinge", sagt Lau und fährt fort:

"Aber er hat auch gesagt: Wir sind hier angewiesen auf die Hilfe aus dem Ausland, und wir müssen manchmal auch von Menschen und Mächten Hilfe annehmen, von denen wir lieber keine Hilfe nehmen würden. Wenn sich Europa uns deutlicher zuwenden würde, könnten wir darauf verzichten und deutlichere Grenzen ziehen", so Lau.

Cerics Grundhaltung als europäischer Widerspruch

Dieser Widerspruch, in dem sich Bosnien-Herzegowina mit seinem Großmufti befindet, ist gleichzeitig auch ein europäischer Widerspruch. Namhafte Religionswissenschaftler entdecken bei Ceric die gleiche Grundhaltung, die etwa auch die katholische Kirche oder die evangelische Kirche in Deutschland auszeichnet:

Innerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft wird durch eine Rückbesinnung auf traditionelle und oft konservative Werte ein Zugehörigkeitsgefühl gestärkt, Identität wird in der Abgrenzung zu den anderen gesucht. So gestärkt, engagiert man sich dann auch gesellschaftlich, befürwortet eine multireligiöse und multikulturelle Koexistenz.

Das erkennt auch Mustafa Ceric an, wenn er darauf hinweist, dass auch Bosnien-Herzegowina keine Insel im europäischen Meer ist, indem er erklärt:

"Die Kultur des Dialogs in Bosnien-Herzegowina ist gleichzeitig auch die Kultur des Dialogs in Europa. Was in Bosnien-Herzegowina geschieht, ist nicht etwas spezifisch Bosnisches. Wir sind nur ein Abbild – im Guten wie im Schlechten, des heutigen Europas und der heutigen Welt."

Zoran Arbutina

© Deutsche Welle 2008

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