Eine gefährliche Zeitbombe

Die Bevölkerung in den arabischen Ländern und in Iran wächst rasant schnell. Um den auf den Arbeitsmarkt strebenden Jugendlichen eine Perspektive zu bieten, muss auch der Westen die Wirtschaftsentwicklung in diesen Ländern fördern. Ein Kommentar von Peter Philipp

Junge in Oman; Foto: Larissa Bender
Kinder müssen in vielen Ländern des Nahen Ostens schon früh einer Arbeit nachgehen, eine Aussicht auf einen festen Arbeitsplatz aber haben sie nicht

​​Der bisherige iranische Staatspräsident Mohamad Khatami hatte wiederholt verkündet, er werde die Arbeitslosigkeit im Lande drastisch reduzieren und bis zu 800.000 Arbeitsplätze im Jahr schaffen. Es ist ihm nicht gelungen: Die geschätzte Arbeitslosigkeit liegt zwischen dreißig und vierzig Prozent, und jedes Jahr kommt eine knappe Million junger Leute hinzu, die versuchen, sich den begrenzten Arbeitsmarkt zu teilen.

Bei über 60 Prozent der 70-Millionen-Bevölkerung unter 35 Jahren ein unberechenbares Potential. Wie man kürzlich vielleicht auch schon bei den Präsidentschaftswahlen gesehen hat, als der islamistische Hardliner Ahmadinejad gewählt wurde, weil er den Armen mehr Hilfe, Gerechtigkeit und vor allem Arbeit versprochen hatte.

Der Iran ist keine Ausnahme im Nahen Osten, sondern eher die Regel. Auch die arabischen Staaten leiden darunter, dass ihre junge Bevölkerung rasant wächst, ohne dass diesen Menschen eine Perspektive gegeben wird, weil in den meisten dieser Staaten die wirtschaftliche Entwicklung stagniert und auch die Bildung zu wünschen übrig lässt.

In der letzten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts hat sich die Bevölkerung der arabischen Welt von 75 Millionen 1950 auf 300 Millionen im Jahr 2000 vervierfacht und ein Ende dieses Trends ist nicht abzusehen. So warnt der jordanische Prinz Hassan, dass diese Zahl sich in den nächsten 25 Jahren wieder verdoppeln werde.

600 Millionen Einwohner ohne ausreichende Verdienstmöglichkeiten und ohne ausreichende Bildung sind aber eine äußerst gefährliche Zeitbombe. Gefährlich nicht nur für die verschiedenen Regime, um die es mangels jeder demokratischen Legitimität vielleicht nicht so schade wäre.

Eine solche Masse unzufriedener Menschen ist auch für andere Regionen der Welt gefährlich: Sie stellt ein gewaltiges und unerschöpfliches Reservoir für Demagogen und Terroristen dar, die – wie Osama Bin Laden – Frust und Unzufriedenheit in Feindschaft und Hass gegen den Westen verkehren.

Die Möglichkeiten des Auslandes sind begrenzt, solch einer Entwicklung Einhalt zu gebieten. Aber Europa und der Westen insgesamt sollten sich verstärkt dafür einsetzen, dass in den Ländern des Nahen Ostens mehr für die Entwicklung der Wirtschaft getan wird – und damit Arbeitsplätze geschaffen werden.

Sie sollten sich ebenso dafür einsetzen, dass die Bildungschancen in der Region weiter verbessert werden. Und das besonders für Frauen. Denn je höher deren Bildungsstand, desto eher sind sie bereit, etwas gegen die Bevölkerungsexplosion zu unternehmen. Im Jemen zum Beispiel wenden nur knapp 20 Prozent der Frauen Verhütungsmaßnahmen an, in Ägypten sind es immerhin schon 56 und im Iran sogar 73 Prozent.

Erst wenn diese grundlegenden Voraussetzungen geschaffen sind, wird die Lage sich langsam zu verbessern beginnen. Aber es wird immer noch ein langwieriger Prozess sein, der einhergehen muss mit einer Demokratisierung der Region.

Demokratie allein wird den Menschen ebenso wenig nützen wie Bildung oder Arbeit allein. Es muss eine Kombination dieser drei sein. Und es ist klar, dass dies weder von den Menschen der Region allein erreicht werden kann, noch von den Regimes und erst recht nicht allein vom Ausland. Alle drei müssen zusammen arbeiten. Denn die wachsenden Bevölkerungsprobleme gehen sie alle an.

Peter Philipp

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005

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