Suche nach einer Gesamtstrategie für den Irak

Tauwetter im amerikanisch-syrischen Verhältnis: Nach Jahren der offenen Feindschaft mit der früheren US-Administration setzt die Führung in Damaskus nun auf Entspannung im Umgang mit den Vereinigten Staaten – zum Beispiel in der Irakpolitik. Von Marwan Kabalan

Tauwetter im amerikanisch-syrischen Verhältnis: Nach Jahren der offenen Feindschaft mit der früheren US-Administration setzt die Führung in Damaskus nun auf Entspannung im Umgang mit den Vereinigten Staaten – zum Beispiel in der Irakpolitik. Einzelheiten von Marwan Kabalan

George Mitchell, US-Sondergesandter für den Nahen Osten, zu Besuch bei Bashar al-Assad in Damaskus; Foto: AP
Ein "New Deal"</wbr> in der Irakpolitik als gemeinsamer Anknüpfungspunkt für eine Verbesserung des syrisch-amerikanischen Verhältnisses? George Mitchell, US-Sondergesandter für den Nahen Osten, zu Besuch bei Präsident Bashar al-Assad in Damaskus.

​​Nach fünf Jahren gespannter Beziehungen zwischen den USA und Syrien hat die Regierung unter Präsident Obama einen neuen Botschafter nach Damaskus entsandt: Robert Ford, den jetzigen stellvertretenden US-Botschafter im Irak.

Die Ernennung belegt den hohen Stellenwert des Iraks für die syrisch-amerikanischen Beziehungen. Die von den USA angeführte Invasion im Irak hatte einen tiefen Graben zwischen beiden Staaten aufgerissen, doch die gemeinsamen Interessen in Bezug auf den Irak scheinen nun für eine Annäherung gesorgt zu haben.

Als sich die Regierung unter Präsident George W. Bush im Jahr 2003 dafür entschieden hatte, in den Irak einzumarschieren, wandte sich Syrien offen gegen diesen Plan. Die Führung in Damaskus fühlte sich von den USA in gleicher Weise bedroht, zumal konservative Kreise in Washington einen Regimewechsel auch in Syrien forderten.

Dies veranlasste wiederum die Führung in Damaskus dazu, den Widerstand gegen die Besetzung im Irak zu unterstützen. Die USA warfen Syrien zudem vor, Kämpfern zu gestatten, die Grenzen zum Irak ungehindert passieren zu können und ranghohen Politikern der früheren irakischen Regierung Unterschlupf zu gewähren.

Politischer Kurswechsel

Syrien begann jedoch im Sommer 2004, seine Politik zu überdenken. Die zunehmende Gewalt im Irak und der wachsende Einfluss extremistischer Gruppen, wie Al-Qaida, veranlassten die Syrer, der Stabilisierung des Iraks einen höheren Stellenwert beizumessen, um die negativen Folgen des Krieges möglichst gering zu halten.

Demonstration von Syrern in Damaskus gegen US-Angriff an syrisch-irakischer Grenze; Foto: AP
Die Schatten der Vergangenheit: Zehntausende Syrer demonstrieren am 30. Oktober 2008 in Damaskus gegen den amerikanischen Angriff auf ein Dorf an der syrisch-irakischen Grenze bei dem acht Menschen ums Leben kamen.

​​Im Herbst 2005 verstärkte Syrien seine militärische Präsenz entlang der Grenze zum Irak, um mit 7.000 zusätzlichen Soldaten zu verhindern, dass Kämpfer in das Nachbarland eindringen und sich dem Widerstand anschließen konnten.

Als Zeichen des guten Willens gestattete Syrien zudem, dass die Kandidaten für die irakische Parlamentswahl ihren Wahlkampf auch bei den rund 1,5 Millionen irakischen Flüchtlingen in Syrien durchführen konnten. Dies stellte eine Abkehr von der bisherigen Politik dar, die darin bestand, nicht nur die US-amerikanische Invasion im Irak rundherum zu verurteilen, sondern gleichfalls alles abzulehnen, was aus ihr resultierte, also auch die Wahlen.

2006 erkannte Syrien die von Nouri al-Maliki geführte irakische Regierung an und nahm wieder diplomatische Beziehungen mit Bagdad auf. Beobachter konnten daraufhin ein wachsendes Einverständnis sowie zunehmend auch gemeinsame Interessen zwischen Syrien und den USA feststellen.

Seit Mitte 2007 begannen beide Staaten, trotz ihrer noch immer feindseligen Rhetorik, die gemeinsamen Interessen im Irak weiter auszuloten. Und tatsächlich gelang es ihnen, ihre Zusammenarbeit in diesem Bereich zu.

Syrien sich setzte sich nunmehr ernsthaft für den Aufbau einer starken Zentralregierung in Bagdad ein. Für Damaskus bedeutete dies eine Grundvoraussetzung, um ein Auseinanderfallen des Iraks und die Entstehung kleiner, konfessionell geprägter Mini-Staaten an seinen Grenzen zu verhindern.

Bemüht um nationale Versöhnung

Zu diesem Zweck warb Syrien auch für die Integration der größten sunnitischen Gruppen in den politischen Prozess im Irak. Um alle Seiten in einen nationalen Versöhnungsprozess einzubinden, hielt Syrien eine Formel für notwendig, nach der Macht und Wohlstand gerecht verteilt werden sollen.

Anschlag radikaler Islamisten in Bagdad; Foto: AP
Für ein Ende der Gewalt im Irak - die Führung in Damaskus befürchtet, dass extremistische Gruppen ihre Operationen auch auf syrisches Territorium ausdehnen könnten.

​​Syrien befürwortete außerdem eine Revision der Gesetze, mit denen der Irak den Einfluss der Baath-Partei eingedämmt hatte, um einigen Mitgliedern der von den Sunniten dominierten Baath-Partei die Regierungsbeteiligung zu ermöglichen – eine Vorbedingung für eine umfassende nationale Versöhnung in den Augen Syriens.

Syrien ist besorgt über die Aktivitäten extremistischer Gruppen im Irak und fürchtet, dass sich die Gewalt auf das eigene Territorium ausdehnen könnte.

Um einer Brutstätte des Extremismus vorzubeugen, widersetzt sich Syrien all jenen Ansätzen, die föderale Strukturen oder gar regionale Abspaltungen befürworten, wie es etwa wichtige schiitische Gruppen im Irak tun (z.B. der Oberste Rat der Islamischen Revolution im Irak), die die Errichtung einer schiitischen Provinz im Süden des Irak anstreben. Um die Einheit des Iraks und dessen territoriale Integrität zu schützen, sprach sich Syrien auch mit der Türkei ab, um eine gemeinsame politische Linie zu finden.

Hoffen auf amerikanischen Truppenabzug

Im Vorfeld der kürzlich durchgeführten Wahlen im Irak schienen die USA und Syrien mehr oder weniger die gleiche Politik zu verfolgen: Beide Staaten forderten, dass alle politischen Parteien in den Wahlprozess eingebunden werden müssten, ein möglichst hoher Grad an Stabilität und Sicherheit gewährleistet werden sollte, aber auch, dass die sektiererische Gewalt sowie die Trennung nach ethnischen Kriterien beendet werden müssten.

Zudem hofft Syrien auf einen möglichst problemlosen Abzug der amerikanischen Truppen, wie ihn der im "Status of Forces Agreement" zwischen den USA und dem Irak festgelegte Zeitplan vorsieht.

Natürlich gibt es noch immer eine ganze Reihe von Streitpunkten zwischen den USA und Syrien – etwa über das Tempo des amerikanischen Truppenabzugs oder über die engen Verbindungen Syriens zu ehemaligen Regierungsbeamten im Irak. Und doch lassen sich diese Differenzen überbrücken, insbesondere nach den positiven Entwicklungen, die sich seit den Wahlen vom 7. März beobachten lassen, wozu auch das starke Abschneiden der säkularen und national ausgerichteten Kräfte im Land gehört.

Es trifft ebenfalls zu, dass sich Syrien wie die USA noch auf eine Gesamtstrategie für die Stabilisierung des Irak einigen müssen, eine Gelegenheit für den neuen US-Botschafter in Syrien, fünf Jahre abgekühlter Beziehungen zu beenden.

Marwan Kabalan

© Common Ground News Service 2010

Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

Dr. Marwan Kabalan ist syrischer Autor und Wissenschaftler.

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