Die unverstandene Revolution

Westliche Klischees und iranische Propaganda verdunkeln gleichermaßen das Bild eines großen Freiheitskampfs vor 30 Jahren. Ein Essay von Charlotte Wiedemann

Iranische Studentin in Teheran vor Khomeini-Bildern 1979; Foto: AP
"Später legte sich über alles der übermächtige Schatten Khomeinis. Der Nachwelt blieb ein irriges, ein unzutreffendes und auch ungerechtes Bild von einem großen Freiheitskampf."

​​ Historikern und Soziologen fällt es bis heute schwer zu erklären, was im Iran 1978/79 eigentlich geschah. Binnen weniger Monate stürzte eine überwiegend unbewaffnete Bewegung ein Regime, das eine der bestausgestatteten Armeen der Welt befehligte.

Es war, schreibt der amerikanische Soziologe Charles Kurzman, "the unthinkable Revolution" und deren Ursachen wollen sich auch im Nachhinein in kein klares Deutungsmuster zwingen lassen, sei es wirtschaftlicher, sozialer oder religiöser Art.

Unblutiger als die Französische Revolution

Sicher ist nur: Unblutiger als die Französische und die Russische Revolution war die Iranisch-Islamische zugleich viel populärer. Der Grad aktiver Beteiligung unter den damals 35 Millionen Iranern machte sie zu einer tatsächlichen Volksrevolution, zu einer der großen Erhebungen der Weltgeschichte.

Auf alten Fotos, in ehrlichem Schwarzweiß, ist die Vielfalt der Opposition gegen den Schah

Demonstrationen in Teheran 1978; Foto: AP
Epochaler Paukenschlag: Die Islamische Revolution im Iran zählt wohl zu den bedeutendsten politischen Erhebungen der Weltgeschichte.

​​ noch zu erkennen: Junge Männer in dandy-haften weißen Jackets; junge Frauen ohne Kopftuch, das Haar modisch toupiert.

Später legte sich über alles der übermächtige Schatten von Groß-Ayatollah Khomeini. Der Nachwelt blieb ein irriges, ein unzutreffendes und auch ungerechtes Bild von einem großen Freiheitskampf.

Dies gilt auf erstaunliche Weise für den Westen wie für Iran selbst. Auf beiden Seiten wurde und wird der Freiheitskampf auf eine religiöse Bewegung reduziert - und die religiösen Motive dann auf wenige Phrasen. So kommen sich zwei Propagandabilder erstaunlich nahe - auch wenn ihnen ganz unterschiedliche Motive zu Grunde liegen.

Riss zwischen den Generationen

Zunächst das Geschichtsbewusstsein im Iran: Es zieht sich ein Riss durch das Land, es ist der Riss zwischen den Generationen. Seit der Revolution hat sich die Bevölkerung verdoppelt; 70 Prozent der Iraner sind heute jünger als 30 Jahre.

Und in dieser großen, jungen Mehrheit finden viele unbegreiflich, wofür sich ihre Eltern begeisterten. Mag die Regierung in diesen Tagen bei den 30-Jahre-Feiern auch mit "Bluetooth"-Technik um die Aufmerksamkeit der Jungen buhlen: Nur wenige feiern ehrlichen Herzens mit.

Viele ältere Iraner sagen hingegen, die Monate der Revolution seien die schönste Zeit ihres Lebens gewesen. Sie erzählen von einem Rausch der Freiheit und der Hoffnung, der jeden einzelnen mitriss: "Ich ging demonstrieren, weil alle gingen. Ich streikte, weil alle streikten."

Selbst Desertion war ein Massenphänomen, und damit die Deserteure mit ihrem militärisch gestutzten Haar leichter untertauchen konnten, rasierten sich viele junge Zivilisten solidarisch den Schädel.

Einsame Revolutionäre

Junge Iranerinnen in Teheran; Foto: DW
Die Kinder der Revolution wissen über die Beweggründe der Eltern erstaunlich wenig und können mit den politischen Parolen von einst kaum noch etwas anfangen.

​​ Heute fühlen sich die einstigen Revolutionäre einsam mit diesen Erinnerungen. Ihnen ist die eigene Biografie abhanden gekommen, sie wurden gleichsam doppelt enteignet: Durch das tagtägliche Erleben einer Islamischen Republik, die in ihrer heutigen Form kaum jemand wollte, aber der die Generation der Revolution zur Geburt verhalf. Die zweite Enteignung ist der stete Vorwurf in den Augen ihrer Kinder.

Diese Kinder wissen über die Beweggründe der Eltern erstaunlich wenig. "Oral history" wird im Iran nicht gepflegt. Im Schulunterricht werden zur Revolution Namen und Daten auswendig gelernt, sie hinterlassen ein Klischeebild: Der Schah wurde gestürzt, weil alle den Islam wollten.

Übersättigt mit Parolen vermögen viele Jüngere nicht zu sehen, dass ihre Eltern, Tanten, Onkel für ein paar Tage ihres Lebens kleine Helden waren. Bei einer privat arrangierten Diskussion mit Studenten sagt die Hälfte von ihnen, das Leben ihrer Eltern, insbesondere deren Jugend in der Schah-Zeit, sei besser gewesen als ihr eigenes Leben.

Wenn iranische Schüler ihren Lehrern kritische Fragen über die Revolution stellen, dann

Irakische Truppen in den Außenbezirken von Khoramshahr 1980; Foto: AP
Der Iran-Irakkrieg dauerte länger als der Zweite Weltkrieg und forderte fast eine Million Menschenleben.

​​ weichen die Lehrer aus und erzählen vom Krieg. Von jenem entsetzlich verlustreichen achtjährigen Krieg, der im September 1980 begann: Ermutigt vom Westen, ausgerüstet mit westlichen Waffen überfiel Saddam Hussein den Iran.

Am Ende trauerten beide Staaten um je eine halbe Million Tote. Die Ausprägung der jungen Islamischen Republik, ihre Ideologie, ihr Symbolismus sind untrennbar mit diesem Krieg verbunden.

Revolution bedeutete Aufbegehren, Krieg bedeutete Gehorsam. In der offiziellen nationalen Erinnerung wird nirgends die Freiheit, der Aufbruch, die Vielfalt der revolutionären Bewegung gefeiert. Die Schönheit der Revolution hat nur in der privaten Erinnerung überlebt, wie in einem inneren Exil.

Die skeptische Generation

In vielen Ländern kennzeichnen Generationskonflikte den Übergang zu gesellschaftlicher Erneuerung. Der Riss zwischen dem älteren und dem jüngeren Iran markiert stattdessen nur ein beängstigendes ideologisches Vakuum. Die Jungen erleben die Alten als eine Generation der Ohnmächtigen, der "Versagt-Habenden".

Man kann an einem Familientisch erleben, dass sich die Älteren gegen die Vorwürfe der Jüngeren nicht einmal verteidigen; sie schweigen resigniert. In dieser vaterlosen (und mutterlosen) Gesellschaft ist eine zutiefst skeptische Generation herangewachsen.

Bei manchen jungen Leuten spürt man eine geradezu erschütternde Unfähigkeit, sich eine positive Wandlung des Iran aufgrund eigenen Handels vorstellen zu können.

Im Westen begann 1979, nach einem flüchtigen Moment der Faszination, die

Jugendliche während Revolutionsfeiertag in Teheran; Foto: DW/dpa
"Für die meisten westlichen Medien reduziert sich die Revolution bis heute auf die suggestive Macht Khomeinis: Der politische Islam ist nur als Personenkult vorstellbar, die Menschen als fanatisiertes Gefolge."

​​ Islamophobie neuerer Zeit. Die Figur Khomeinis schien dafür wie geschaffen; an den Stammtischen wurde das Wort "Ayatollah" zum Synonym für einen gefährlichen Spinner.

Für meisten westlichen Medien reduziert sich die Revolution bis heute auf die suggestive Macht Khomeinis: Der politische Islam ist nur als Personenkult vorstellbar, die Menschen als fanatisiertes Gefolge. Damit hat sich in der Berichterstattung 1979 ein bis heute wirksames Prinzip etabliert: die Missachtung des Muslims als Bürger, als handelndes, denkendes Subjekt.

Ali Schariati – ein schillernder Utopist

Fragt man die Revolutionäre von damals, wer sie inspiriert habe, dann fällt immer wieder dieser Name: Ali Schariati. Ein junger iranischer Soziologe, an der Sorbonne promoviert, ein schillernder Utopist, immens populär.

Seine Botschaft, die ganze Schulklassen für den Islam gewann, lautete sinngemäß: Weg mit dem Muff unter den schiitischen Talaren! Schluss mit religiöser Unterwürfigkeit.

Erlösung nicht durch rituelle Selbstgeißelung, sondern durch Kampf, Kritik, Aufklärung. Schariati propagierte eine "Religion des Protests", einen "lebensbejahenden, kraftvollen, gerechten Islam."

Heute klingt das vertrauter als damals. Schariati war ein Vorläufer, er nahm auf, was in der Luft lag: das Bedürfnis nach Identität, nach einem Islam, der aufbegehrt sowohl gegen einheimische Despoten wie gegen westliche Dominanz. In vielen islamischen Ländern kreisen heute Bewegungen um diese Doppelachse.

1979, das war das Jahr eines muslimischen "Yes, we can!". Eine islamisch inspirierte Volksrevolution stürzte einen Statthalter westlicher Interessen. Das weltweite islamische Wiedererwachen hatte bereits vorher begonnen, doch die Bilder der zur Geisel genommenen US-Diplomaten entfalteten eine Wirkung, die heute, angesichts eines ungleich schwächeren Amerika, fast nicht mehr vorstellbar ist.

Straßenkinder in Teheran; Foto: INSA/DW
Die Hoffnung auf soziale Gerechtigkeit hat die Islamische Republik nicht erfüllt - Straßenkinder in Teheran

​​ Der Slogan der Revolution war allerdings "Weder Ost noch West!", und tatsächlich begann sich 1979 eine neue Welt abzuzeichnen, eine multipolare Welt. Die Furcht des Westens vor einem Flächenbrand islamischer Revolutionen war heillos übersteigert, doch sie hatte einen rationalen Kern: die berechtigte Angst vor dem eigenen, historisch unvermeidbaren Bedeutungsverlust.

Anfeindung von außen bewirkt Abschottung im Inneren - westliche Politik hat das Regime in Teheran oft ungewollt gestärkt. Und bei der Masse der Iraner, die eine lange Tradition antikolonialer Empfindungen haben, ein Gefühl erzeugt, dass jenem vor der Revolution nicht ganz unähnlich ist: Die Macht zu definieren, was iranisch ist, maßen sich immer noch fremde Mächte an.

Die Islamische Revolution ist letztendlich ein singuläres Ereignis geblieben, ein nationales Phänomen, iranischer als zunächst gedacht und selbst für andere Schiiten kein Objekt der Nachahmung.

Die Hoffnung auf soziale Gerechtigkeit hat die Islamische Republik nicht erfüllt. Trotzdem bleibt das Gerechtigkeitsverlangen bei Millionen Muslimen weltweit auf den Islam projiziert, auch die Suche nach einer alternativen, einer nichtwestlichen Moderne. Viele im Westen verstehen das nicht, so wie sie bis heute die Iranische Revolution nicht verstehen.

Charlotte Wiedemann

© Qantara.de 2009

Charlotte Wiedemann ist freie Autorin und Journalistin u.a für die Zeit und die Süddeutsche Zeitung. Zuletzt erschien ihr Buch "Ihr wisst nichts über uns. Meine Reisen durch einen unbekannten Islam" im Herder-Verlag.

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