Unüberwindbare Barrieren

Anstatt Einwanderung als Chance zu begreifen, rückt die EU die Sicherheit ins Zentrum ihrer Politik. Das Ergebnis ist eine Abschottung an den Außengrenzen und eine Ausgliederung des europäischen Flüchtlingsschutzes. Stephanie Zeiler mit Hintergründen

Die EU setzt in ihrer Zuwanderungspolitik auf Abschreckung. Doch die vorwiegend illegale Migration, nämlich die von Menschen, die über die Dauer ihrer Visa hinaus im Land bleiben, bekämpft sie damit nicht. Und diejenigen, die erst gar keine Einreiseerlaubnis bekommen, lassen sich von dieser Politik kaum abhalten.

Doch für viele EU-Bürger wirkt die Abschottungspolitik der Europäischen Union beruhigend – angesichts einer Arbeitslosenquote von 8,5 Prozent im EU-Durchschnitt und den damit einhergehnden Existenzängsten auf dem europäischen Arbeitsmarkt vor Mitbewerbern aus anderen Nationen.

Daran ändern auch Prognosen der EU-Kommission in ihrem Grünbuch zur Einwanderungspolitik nichts, die aufgrund einer überalternden Gesellschaft einen Mangel von 20 Millionen Arbeitskräften für 2030 voraussagen und eine geregelte Einwanderung empfehlen.

Brain-Drain und Billigjob

Wer einen Arbeitsvertrag vorweisen und die wirtschaftliche Notwendigkeit seiner Tätigkeit in Europa begründen kann, soll eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf den Zuzug von Hochqualifizierten gelegt – wenn auch mit dem Hinweis auf mögliche Gefahren, die aus dem "Braindrain" für ärmere Entwicklungsländer resultieren können: wachsende Armut in den Herkunftsländern Afrikas und Asiens.

64 Millionen Einwanderer leben heute in den europäischen Staaten, und es kommen täglich neue dazu. Die Menschen wissen, dass sie dort innerhalb weniger Wochen Arbeit finden können.

Die Landwirtschaft, Teile der Baubranche, das Gastronomiegewerbe sowie private Pflegeeinrichtungen profitieren längst von der – faktisch geduldeten – Schwarzarbeit "illegaler" Einwanderer, die meist ohne arbeitsrechtliche Garantien und für Billiglöhne arbeiten.

Das ist die Kehrseite der Abschottung Europas, der Ökonomen zuschreiben, in den EU-Mittelmeerstaaten bis zu 25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes beizutragen.

Die Idee eines Raums der Freiheit und des Rechts stellte die EU nach den Anschlägen am 11. September 2001 hinten an und rückte die Sicherheit ins Zentrum ihrer Zuwanderungspolitik. Mit dem Haager Programm, das die EU-Migrations- und Integrationspolitik der Jahre 2005 bis 2010 festlegt, verbindet sie heute Migration, Integration, Asyl, Menschenhandel mit organisierte Kriminalität, Drogenhandel und Terrorismus in einem Politikfeld.

17 Prozent der Vorschläge der EU-Kommission fallen allein in dieses Ressort. Die Kombination dieser Themen spricht dabei deutlich für eine primär auf Sicherheit fixierte Behandlung des sozialen Problems der Migration im Zeitalter der Globalisierung.

Abschottung der EU-Außengrenzen

So hat Spanien im vergangenen Jahr mit EU-Geldern den mit Langstreckenradar, Wärmebildkameras, Nachtsichtgeräten und Infrarotstrahlen ausgestatteten Grenzzaun auf sechs Meter erhöht. Des Weiteren wurde eine EU-Fingerabdruck-Datenbank eingeführt und die europäische Grenzschutz-Agentur Frontex errichtet, die seit 2005 mit nationalen Sicherheitskräften vor allem die Mittelmeergrenze bewacht.

Aktuell steht die Entwicklung eines Managementsystems für die EU-Außengrenzen an sowie die Prüfung eines Satelliten gestützten Überwachungssystems im Mittelmeer und der Einsatz so genannter Sofort-Einsatzteams. Innerhalb von zehn Tagen sollen 250 Grenzschützer, Dolmetscher und Sanitäter im Falle einer geballten illegalen Einreisewelle mobilisierbar sein.

Die Idee, die sich dahinter verbirgt, dient weniger dem Schutz der Flüchtlinge, als vielmehr deren frühzeitiger Rückführung. Dazu wurde 2005 auch eine entsprechende Asylverfahrensrichtlinie verabschiedet, die es erlaubt, Flüchtlinge in außereuropäische Staaten abzuschieben. Aktuelles Beispiel ist die Zusammenarbeit mit Marokko, aber auch mit dem libyschen Staat, der bisher noch nicht einmal die Genfer Flüchtlingskonventionen ratifiziert hat.

Rund zwei Millionen Afrikaner sind in den letzten fünf Jahren illegal über die marokkanische Landesgrenze oder über den Seeweg nach Spanien gekommen. 2003 erließ der Maghrebstaat erstmals ein Gesetz, dass denjenigen, die Illegalen helfen, Haftstrafen bis zu 20 Jahren droht.

Europas maghrebinische Hilfssheriffs

Im Herbst vergangenen Jahres hat die EU das Land dann angewiesen, die Kontrolle an seinen Außengrenzen zu intensivieren. So wurde Marokko quasi zu einem "Hilfssheriff" Europas. Es kam es zu einer Verschiebung der Fluchtrouten, die jetzt vor allem über Mauretanien und neuerdings auch über den Senegal und Guinea-Bissau führen.

Mehr als 27.000 Flüchtlinge erreichten allein in diesem Jahr mit ihren kaum seetauglichen Booten die kanarischen Inseln, mehr als 14.500 kamen laut EU-Angaben in Italien und mehr als 1600 in Malta an. Unzählige andere ertranken.

Von illegaler Einreise verstärkt betroffene Länder führen seit Jahren regelmäßig Legalisierungskampagnen durch. Spanien hat im vergangenen Jahr allein 577.000 Menschen zu einer Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung verholfen. Durch diese in der EU mit Abstand umfangreichste Legalisierungsmaßnahme brachte es jedoch andere Mitgliedsstaaten gegen sich auf.

Der Protest führte dazu, dass der EU-Rat für Justiz und Inneres im Oktober in Luxemburg entschied, dass sich die EU-Staaten künftig über asyl- und einwanderungspolitische Maßnahmen gegenseitig unterrichten müssen.

Ganz oben auf der EU-Agenda steht gegenwärtig die Einbindung der Herkunfts- und Transitländer bei der Abwehr von Flüchtlingströmen. Doch die afrikanischen Staaten haben derzeit kaum ein Interesse, illegalisierte Auswanderer wieder aufzunehmen. Denn mit jedem Flüchtling sinkt in der Regel die Zahl der Arbeitslosen in ihren Ländern.

Außerdem bilden die die Transferzahlungen der Migranten in ihre Heimat längst eine wichtige Devisenquelle für diese Staaten. Laut UN-Expertenbericht liegen sie dreimal so hoch wie die Hilfsgelder aus der Entwicklungszusammenarbeit.

Rücknahmeabkommen mit afrikanischen Ländern – und das nicht nur für die eigenen Staatsbürger, sondern auch für diejenigen, die über das Land in die EU reisten – sind also nicht ohne Gegenleistung realisierbar.

Einwanderungsquoten in den EU-Staaten

Deutschland und Frankreich brachten dazu Ende Oktober, auf dem jüngsten Treffen der Innenminister der sechs größten EU-Staaten im britischen Stratford-upo-Avon, einen Lösungsvorschlag ein. Sie wollen den Status des Gastarbeiters wieder einführen und die Kooperationsbereitschaft der Herkunftsländer bei der Rückführung illegaler Zuwanderer mit entsprechenden Quoten bei den legalen Migranten vergüten.

Allerdings sehen die von Großbritannien, Italien, Spanien und Polen unterstützten Pläne noch immer vor, dass jedes EU-Land seine Einwanderungs- und Arbeitsmarktpolitik auch künftig selbst gestaltet. Daher ist im Grunde aber gar nicht zu erwarten, dass sich viele EU-Staaten an den in Aussicht gestellten Einwanderungsquoten beteiligen werden.

Seit Beginn der 1990er Jahre finden sich in den Strategiepapieren Westeuropas außerdem Hinweise dafür, dass die Asylverfahren - durch die Einrichtung von Anlaufstellen in Herkunftsstaaten - verstärkt aus Europa ausgelagert werden sollen. Die Bekämpfung der Fluchtursachen gerät dabei aus dem Blick.

Neu an dem Diskurs der Europäischen Union ist letztlich allein die zunehmende Einsicht, dass Migration ein Phänomen ist, das stattfindet – ob man will oder nicht. Von einer langfristig gedachten, humaneren Politik, die sich beispielsweise auf Wirtschafts- und Demokratieförderung in Afrika konzentriert, ist sie jedoch noch weit entfernt.

Nötig ist daher vor allem ein grundlegend anderer Umgang mit dem Thema Migration. Statt Schlagworte wie Terror, Kriminalität, Menschenhandel und Parallelgesellschaft mit Einwanderung zu verknüpfen, müsste die EU die positiven Seiten der Zuwanderung betonen sowie gefahrenfreie Zugänge für Schutzsuchende und ein liberales Asylrecht schaffen.

Damit würde sie einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel ermöglichen und den internationalen Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention Rechnung tragen.

Stephanie Zeiler

© Qantara.de 2006

Stephanie Zeiler arbeitet als freischaffende Journalistin in Berlin.

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