Der Wahlkampf-Karneval der Inselrepublik

In Indonesien finden am 9. April Parlamentswahlen statt. Islamische Parteien spielen im Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt eine kleine, dafür aber entscheidende Rolle, wie Christina Schott aus Jogjakarta berichtet.

Wahlkampfveranstaltung der PDI-P von Ex-Staatspräsidentin Megawati Sukarnoputri; Foto: Christina Schott
Wahlkampf mit Volksfestcharakter in Jogjakarta: Anhänger der "Indonesischen Demokratischen Partei des Kampfes" (PDI-P) von Ex-Staatspräsidentin Megawati Sukarnoputri

​​Der südliche Versammlungsplatz der zentraljavanischen Sultansstadt Jogjakarta ist komplett in Rot getaucht. Trotz brütender Hitze wogt ein Fahnenmeer vor der Bühne, auf der zwei Schlagersängerinnen mit ihren Hüften kreisen. Ekstatisch schwingt Rikschafahrer Gandung seinen beachtlichen Bauch im Takt hin und her, während er sich von einem Wasserschlauch nass spritzen lässt.

Sein rot-weißes T-Shirt weist ihn als Anhänger der "Indonesischen Demokratischen Partei des Kampfes" (PDI-P) aus – einer der drei nationalistischen Parteien, die im Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt die Politik bestimmen.

"Warum sollte ich eine islamische Partei wählen?", fragt der gläubige Muslim. "Die schicken uns in die Moschee, wenn wir nichts zu essen haben. Dabei sind die Politiker alle gleich korrupt. Die PDI-P kümmert sich noch am ehesten um uns kleine Leute."

Noch nie eine Mehrheit für islamische Parteien

Viele der 171 Millionen Wähler in der drittgrößten Demokratie der Welt denken ähnlich wie Gandung: Das "Indonesische Meinungsforschungsinstitut" (LSI) sagt voraus, dass alle islamischen Parteien zusammen bei den Parlamentswahlen am 9. April nur 23 Prozent der Stimmen erhalten werden.

Pessimistischere Umfragen nennen sogar nur 15 Prozent – bei der letzten Wahl vor fünf Jahren waren es noch 38 Prozent. "In der Geschichte demokratischer Wahlen in Indonesien haben islamische Parteien noch nie eine Mehrheit erlangt. Das Wichtigste für die Wähler hier sind 'Brot-und-Butter'-Themen. Darin halten sie die nicht-islamischen Parteien offensichtlich für kompetenter", erklärt LSI-Sprecher Burhanuddin Muhtadi.

Dennoch spielen die islamischen Parteien eine Schüsselrolle in diesen Wahlen: Voraussichtlich wird keine der drei großen Volksparteien eine Mehrheit im Parlament gewinnen. Sie sind daher auf Koalitionen mit den islamischen Parteien angewiesen, die das Mittelfeld auf der Liste der 38 zugelassenen Parteien bilden.

Suche nach Koalitionspartnern

So liegt zum Beispiel die Demokratische Partei des amtierenden Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono in allen Umfragen weit vorn, ohne Koalitionspartner bleibt sie jedoch regierungsunfähig.

Fahnen der PPP in Jogjakarta; Foto: Christina Schott
Ringen um ein neues Image: Die "Vereinigte Aufbaupartei" (PPP), die älteste islamische Partei Indonesiens, tritt dieses Jahr mit vielen weiblichen Kandidaten an und buhlt vor allem um junge Wähler.

​​Momentan regiert sie zusammen mit "Golkar", der bislang größten Partei im Parlament. Deren Parteivorsitzender, Vize-Präsident Jusuf Kalla, will sich jedoch aus dem Schatten Yudhoyonos lösen und bei der Präsidentschaftswahl im kommenden Juli selbst kandidieren.

Auch die PDI-P will mit Ex-Präsidentin Megawati Sukarnoputri ihre eigene Kandidatin stellen und kommt so nicht als Partner in Frage. Der Präsident wird zwar in einer Direktwahl vom Volk bestimmt, ohne regierungsfähige Mehrheit im Parlament bleibt er jedoch machtlos. Ohne die kleineren Parteien läuft also nichts.

Also hat zwischen nationalistischen und islamischen Parteien ein Dialog in alle Richtungen begonnen, wobei sich beinahe jeder mit jedem trifft. Die gegenseitige Annäherung schlägt sich auch in den Wahlkampfthemen nieder.

Während sich einige nationalistische Parteiführer als besonders moralisch stilisieren und dies mit dem häufigen Gebrauch arabischer Gebetsfloskeln unterstreichen, geben sich die größeren, islamischen Parteien besonders moderat: Einige nehmen neuerdings auch nicht-muslimische Mitglieder auf, Werbespots zeigen Frauen ohne Kopftuch, Punks oder Bewohner aus dem katholischen Osten Indonesiens. Das große Thema, das alle Parteien vereint, ist die Armutsbekämpfung.

Bunter Wahlkampf

Wie viel von diesen Botschaften bei der breiten Masse ankommt, ist allerdings fraglich. Die nimmt vor allem die so genannte "offene Kampagne" wahr – und die hat in Indonesien nicht viel mit politischen Programmen zu tun, sondern eher mit Karneval. Die Parteianhänger kleiden und schminken sich komplett in den Farben der jeweiligen Partei und ziehen Fahnen schwenkend und hupend in Motorradkonvois durch die Straßen.

Das ganze erinnert sehr an Fußballmeisterschaften. "Die Reden sind eher ein bisschen langweilig, aber die Musik ist klasse", sagt Rikschafahrer Gandung, dessen Kollegen zuvor mit ihren rot geschmückten Dreirädern klingelnd durch die Stadt gezogen sind.

Rikschas mit Fahnen der PDI-P in Jogjakarta; Foto: Christina Schott
Wahlkampf aus der Rikscha: Trotz ihrer öffentlichkeitswirksamen Kampagnen muss sich die PDI-P von Megawati Sukarnoputri auf leichte Stimmenverluste einstellen.

​​"Pesta Rakyat" – Volksfest – so hieß der Wahlkampf unter dem diktatorischen Regime des ehemaligen Präsidenten Suharto. Die Veranstaltungen waren eine politische Farce, denn natürlich gewann immer die Suharto-Partei "Golkar" mit überwältigender Mehrheit. Dennoch wurde die Bevölkerung mit Fahnenumzügen, Essen und Schlagerkonzerten in Stimmung gebracht.

An dieser Strategie hat sich trotz Demokratisierung auch elf Jahre nach Suhartos Rücktritt nicht viel geändert: keine Wahlkampfveranstaltung ohne Promotion-Geschenke, Gratisessen und Popkonzert. Dabei drücken auch die islamischen Parteien gern mal beide moralischen Augen zu und lassen knapp bekleidete Sängerinnen auf der Bühne ihre Kreise ziehen.

Eigentlich sind "sexuell anregende" Tanzbewegungen in der Öffentlichkeit seit vergangenem Oktober verboten, als der Präsident mit vorauseilendem Blick auf den Wahlkampf ein von den islamischen Parteien gefordertes Anti-Pornographie-Gesetz unterschrieb.

Werben um Mitglieder muslimischer Massenorganisationen

Vor allem den insgesamt rund 70 Millionen Mitgliedern der weltweit größten muslimischen Massenorganisationen "Nahdlatul Ulama" (NU) und "Muhammadiyah" gilt das Werben aller Parteien. Die der NU nahe stehende "Nationale Erweckungspartei" (PKB) sowie die von Muhammadiyah-Mitgliedern gegründete "Nationale Mandatspartei" (PAN) haben allerdings ihre Macht verspielt.

Beide Parteien sind intern zerstritten und haben Splittergruppen gebildet, die sich gegenseitig denunzieren. Auch die "Vereinigte Aufbaupartei" (PPP), die älteste islamische Partei Indonesiens, ringt um ein neues Image: Bisher eher mit dem Ruf einer ultrakonservativen "Macho-Fraktion" behaftet, tritt die PPP dieses Jahr mit auffällig vielen weiblichen Kandidaten an und buhlt vor allem um junge Wähler.

Von dieser Orientierungslosigkeit profitiert die "Islamische Wohlstands- und Gerechtigkeitspartei" (PKS), die bei der letzten Wahl vor fünf Jahren überraschend sieben Prozent der Sitze im Nationalparlament und 24 Prozent der Sitze im Regionalparlament Jakartas gewonnen hatte.

Diese Zahlen will die Partei, die sich an den Lehren der in Ägypten verbotenen radikalen Muslimbruderschaft orientiert, in diesem Jahr verdoppeln. Zumindest auf lokaler Ebene scheint das glaubhaft: 100.000 Menschen drängten sich am 31. März in Jakartas Bung-Karno-Stadion, um den Auftritt der Parteiführung zu sehen.

Ob diese größte Wahlkampfveranstaltung in der Geschichte der Republik Indonesiens dem korruptionsfreien Image der PKS oder dem Auftritt der Mega-Bands Gigi und Cokelat zu verdanken ist, bleibt unklar.

Geringe Wählergunst außerhalb Jakartas

Außerhalb Jakartas sagen Umfragen der Partei, deren Basis sich vor allem aus Studentengruppen und urbaner Bevölkerung zusammensetzt, in jedem Fall keine besonders guten Chancen voraus. Trotz anders lautender Beteuerungen befürchten viele moderate Wähler, dass die PKS langfristig einen islamischen Scharia-Staat anstrebt.

Wie auch immer die Wahl ausgehen mag: Viele Beobachter schrecken vor einem ganz anderen Chaos zurück: Mit dem Nationalparlament werden zugleich neue Volksvertretungen auf Provinz-, Regional – und Lokalebene gewählt. Nach einer Studie der "Internationalen Stiftung für Wahlsysteme" (IFES) haben 76 Prozent der Indonesier keine oder zu wenig Infos über die Wahlen und verstehen nicht, wie sie welche der landesweit mehr als 500.000 Kandidaten wählen sollen.

Noch dazu haben nur wenige Tage vor der Wahl längst nicht alle Wahllokale Urnen und Wahlbögen erhalten – mindestens fünf Millionen Wahlbögen sind angeblich verschwunden oder beschädigt.

Einige katholische Landesteile wollen die Wahl wegen Ostern verschieben. Nicht verwunderlich ist daher, dass 84 Prozent der Befragten in der IFES-Studie sagten, sie wüssten nicht, ob sie überhaupt zur Wahl gehen werden.

Christina Schott

© Qantara.de 2009

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