Gegen die Sprachlosigkeit

Syrien und Israel befinden sich offiziell immer noch im Kriegszustand. Das Internetportal "OneMideast" will jetzt Syrer und Israelis miteinander ins Gespräch bringen. Birgit Kaspar berichtet

​​ Der Titel "OneMideast", was so viel heißt wie "Ein Naher Osten", erscheint angesichts der Spannungen in der Region in diesen Tagen fast wie ein schlechter Scherz. Schließlich ist die Region alles andere als einig. "OneMideast" bezeichnet denn auch mehr die Vision der Initiatoren dieses Internetprojektes als die Realität: die Vision eines friedlichen Nahen Ostens, in dem Israel und Syrien und in der Folge auch Israel und Libanon miteinander Frieden schließen.

Versachlichung statt Vorbehalte

Zehn arabische und zehn israelische Wissenschaftler, Journalisten und Blogger haben sich vor rund einem Jahr zusammengeschlossen und gemeinsam die Webseite "OneMideast" erarbeitet. Seit Mitte Mai dieses Jahres ist sie online. Das Bemerkenswerte: Die Website stellt nicht die Punkte, über die sich israelische und syrische Politiker bereits einigen konnten, zusammen, um darzulegen, dass der Weg zu einem Frieden doch gar nicht mehr so weit ist.

Im Gegenteil: In 20 Punkten - jeweils aus israelischer und aus syrischer Sicht – werden Vorbehalte aufgelistet, die gegen einen Friedensschluss sprechen. Und zwar aus Sicht der Bürger in den beiden verfeindeten Staaten. Dem stellen die Autoren dann Argumente gegenüber, die diese Ängste, Scheinargumente oder auch legitimen Bedenken entkräften. So wollen sie zu einer Versachlichung der Friedens-Diskussion beitragen.

Brücke ins Nachbarland

"Die Leute sollen erkennen, dass ein Dialog möglich ist und dass das Internet neue Möglichkeiten bietet, aus erster Hand mehr über die Menschen auf der anderen Seite zu erfahren", sagt Yoav Stern, israelischer Journalist und Mit-Initiator von "OneMideast.org".

Israelische Soldaten auf den Golanhöhen; Foto: AP
Seit über 40 Jahren stellt die Annexion der Golanhöhen durch Israel im Sechstagekrieg von 1967 ein Hindernis für eine syrisch-israelische Aussöhnung dar.

​​ Diese Brücke zur direkten Kommunikation zwischen Israelis und Syrern ist ein Novum. Seit Israel 1967 die syrischen Golanhöhen eroberte, befinden sich die beiden Staaten offiziell im Kriegszustand.

Zwar wurde ein Waffenstillstand abgeschlossen, der auch weitgehend eingehalten wird. Aber Kontakt oder gar Kommunikation mit dem israelischen Feind ist Syrern unter Strafe verboten. Es gibt zwischen beiden Staaten weder direkte Telefonleitungen noch direkten Briefverkehr.

Austausch statt Verhandlungen

Indirekte und direkte diplomatische Verhandlungsbemühungen um einen Frieden sind bisher immer wieder gescheitert. Der letzte von der Türkei vermittelte Versuch wurde im Dezember 2008 abgebrochen, als Israel den Gaza-Krieg begann.

Keiner der "OneMideast"-Initiatoren sehe sich allerdings als eine Art Amateur-Diplomat, betont Elias Muhanna, libanesischer Islamwissenschaftler und Blogger, der an dem Projekt beteiligt ist. "Unser Ziel ist nicht, ein Friedensabkommen auszuhandeln. Wir wollen vielmehr eine Online-Umgebung schaffen, in der Leute sich über dieses komplexe Thema in fruchtbarer Weise austauschen können."

Weniger Angst, mehr Vertrauen

Dem klassischen israelischen Argument, man könne nicht mit einem Staat verhandeln, der Terroristen wie die Hamas und die Hisbollah unterstütze, halten die Autoren von "OneMideast.org" entgegen, dass Nationen sich in Friedenszeiten andere Verbündete suchen als in Kriegszeiten. Zudem sei es nicht sinnvoll, alle gegnerischen Parteien als Terroristen abzustempeln.

Karte der Nahost-Region; Bild: AP GraphicsBank
Ein friedlicher Naher Osten, in dem Israel und Syrien und in der Folge auch Israel und Libanon miteinander Frieden schließen. Das ist die Vision von "OneMideast".

​​ Und wenn viele Syrer klagen, dass Friedensverhandlungen mit Israel nirgendwohin führten, weil es ohnehin immer nur um die israelische Sicherheit gehe, dann ist als Gegenargument auf der Webseite zu lesen: "Es wird keinen Frieden geben, solange sich beide Seiten immer wieder hinter ihrer Opferrolle verschanzen." Man müsse zu gegenseitigen Versicherungen bereit sein, um solche Ängste abzubauen.

Geteiltes Echo

Es gibt viel Lob für diese Internet-Initiative, aber auch beißende Kritik. Ein Journalist mit dem Namen Riam kommentiert, solche erfrischenden Argumentationen seien notwendig, um aus der Sackgasse zu kommen. Der syrische Blogger "Maysaloon" hingegen nennt die Initiative eine Schande und "moralisch bankrott", weil sie zum Dialog ermuntere und dabei zum Beispiel über das Leiden der Menschen in Gaza hinwegsehe.

Der syrische Historiker Sami Moubayed ist der Ansicht, dass diese Bemühungen schlicht zu nichts führen werden. "So kann man Probleme dieser Größenordnung nicht lösen. Es mögen ein paar kreative Gedanken herauskommen, aber am Ende braucht man offizielle Verhandlungen."

Gegen die Sprachlosigkeit

Unterm Strich bleibt "OneMideast.org" der zumindest im Ansatz erfolgreiche Versuch, die Sprachlosigkeit zwischen Syrien und Israel auf Bürgerebene zu durchbrechen. Zumindest solange die Webseite in Syrien nicht von der Regierung blockiert wird, was einige Beobachter nicht ausschließen.

Dass Bürger verfeindeter Staaten wie Syrien und Israel eine solche Eigeninitiative ergreifen, ist zudem schon eine kleine Kommunikationsrevolution in einer Region, in der sonst gegenseitige Verurteilungen an der Tagesordnung sind.

Birgit Kaspar

© Deutsche Welle 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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